Zur Frage der Verhaftung von Geistlichen in Sowjetrussland darf ich noch folgendes bemerken: Der Botschaft ist kein Fall bekannt, wo bei Inhaftierung eines Geistlichen in der Sowjetunion als Haftgrund die Ausübung der seelsorgerischen Tätigkeit gegolten hätte. Vielmehr stützt sich der Verhaftungsbefehl stets auf einen Verstoss gegen die Landesgesetze. Ich erwähne hier nur die Fälle der Pastoren Hansen und Muß, welche im Dezember 1929 in Leningrad verhaftet wurden, weil sie die Gründung einer den Gesetzen widersprechenden Jugendorganisation mit Statuten und Vereinszeichen betrieben hatten (vergl. Bericht Leningrad vom 27.12.1929, Tgb.Nr. 2947/28, Tgb. der Botschaft E/3 v. 3.1.30). Bekannt sind ferner die Anschuldigungen wegen ungesetzlicher Verbindungen mit dem Auslande, die häufig eine Rolle spielen, so in dem grossangelegten Prozess gegen den Pastor Koch, Grossliebenthal bei Odessa (vgl. Bericht Odessa, Kwu vom 23. Juni 1930, Tgb. der Botschaft E/469 vom 28.6.30) und neuerdings im Falle des Pastors Heine (vgl. Bericht Tiflis A 94 vom 5. Mai 1931, Tgb. der Botschaft E/251 vom 29. Mai 1931), oder wegen Nichtzahlung von Steuern (vgl. Bericht Charkow Tgb. Nr. 170 vom 7. Juli 1930 über das Gerichtsverfahren gegen Pastor Math, Tgb. der Botschaft E/496 vom 12. Juli 1930). Es liegt mir daran, dies noch einmal zu unterstreichen, da meist die Meinung vertreten ist, dass der Sowjetstaat, der die Freiheit der Religionsausübung in seiner Verfassung verankert hat, sich nicht scheut, Geistliche lediglich wegen Ausübung der seelsorgerischen Tätigkeit ins Gefängnis zu werfen. So einfach liegen die Dinge nicht, vor nackter Willkür ohne einen Schein des Rechtes scheut man hier wegen der Stimmung im Auslande zurück und auch der Fall des im Frühjahr verhafteten Oberpastors Mayer in Tiflis scheint auf Verstösse gegen die Gesetze hinauszulaufen, die, wenn auch gänzlich untergeordneter Natur, doch von den Sowjetbehörden im geeigneten Moment ausgenutzt werden, um unerwünschte Elemente zu beseitigen.
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