Dokument Nr. 36
Deutscher Caritasverband
Hauptvertretung
Berlin, den 5. November 1932
An die Zentrale des deutschen Caritasverbandes
Freiburg i. Br.
Durch die Presse und auch durch mündliche Berichte ist bekannt geworden, dass das russische Volk im Augenblick wieder vor einer katastrophalen Hungersnot steht. Davon werden nicht in letzter Linie selbstverständlich auch die D e u t s c h s t ä m m i g e n in Russland betroffen. Die Hilferufe dieser Deutschstämmigen mehren sich von Tag zu Tag.
Auf Anregung des Auswärtigen Amtes hat nun vor kurzer Zeit eine Besprechung über eine Hilfsaktion zu Gunsten der hungernden Deutschrussen stattgefunden. An der Besprechung nahmen Teil das Deutsche Rote Kreuz, der Evangelische Hilfsausschuss „Brüder in Not“, die Mennonitische Weltorganisation und der Deutsche Caritasverband, vom Auswärtigen Amt: Gesandtschaftsrat v. Tippelskirch und Regierungsrat Dr. Kundt. In der Besprechung kam die einmütige Meinung darüber zum Ausdruck, dass der Gedanke eines allgemeinen Hilfswerkes vom Auslande her wie in den Hungerjahren 1921/22 aus verschiedenen Gründen gegenwärtig nicht möglich sei. Es bleibt nur die Individualunterstützung von Freunden und Verwandten im Auslande an ihre Angehörigen drüben.
Inzwischen sind dann sichere Wege, um solche Unterstützungen, sei es in barem Gelde oder auch in Paketen nach Russland zu bringen, ausfindig gemacht worden. Es kommt nun darauf an, dass die nötigen Mittel für die Beschaffung solcher Liebesgaben für die Hungernden in Russland aufgebracht werden.
Im Verlaufe dieser Woche fand dann wieder eine Besprechung in den Räumen des Deutschen Roten Kreuzes statt, in der endgültig beschlossen wurde, dass in allernächster Zeit ein Aufruf seitens der verschiedenen Organisationen, die den Hungernden in Russland Hilfe bringen wollen, veröffentlicht werden muss. Den Entwurf eines solchen Aufrufes lege ich in der Anlage zur gefl. Kenntnisnahme bei.
Sodann lege ich noch den Entwurf eines Schreibens bei, der für die verschiedenen hilfsbereiten Verbände bestimmt ist. Dieses Schreiben ist streng vertraulich. Es muss überhaupt den Russen gegenüber grösste Vorsicht beobachtet werden, damit die Durchführung der Hilfsaktion im letzten Augenblick nicht verhindert wird.
Ich habe von hier aus den Hochwürdigsten Herrn Kardinal in Breslau über die geplante Hilfsaktion unterrichtet und ihn gefragt, ob die katholische Kirche Deutschlands offiziell dabei mitwirken will. Er schickte mir daraufhin das in der Anlage abschriftliche beigefügte Schreiben. Es ist somit Sache des Deutschen Caritasverbandes, soweit die katholische Seite einzeln in Frage kommt, die Hilfsaktion durchzuführen. Es müsste im einzelnen überlegt werden, an welche Stellen man in praktischer Weise herantritt. In der vorgenannten Sitzung ist darüber ausführlich gesprochen worden. Sobald das Protokoll dieser Sitzung vorliegt, werde ich es nach dort zur Einsichtnahme weitergeben. Heute möchte ich von dieser geplanten Hilfsaktion wenigstens kurz Mitteilung gemacht haben, damit Sie sich bei der Zentrale schon bei Zeiten darauf einstellen können. Ich weiss, dass es angesichts der gegenwärtigen Notstände in Deutschland ausserordentlich schwierig sein wird, nun auch für die Hungernden in Russland etwas zusammenzubringen. Da aber die Not in Russland aufs Höchste gestiegen ist, so werden wir uns von einer Hilfsaktion nicht ausschliessen können. Es ist bei der Sammlung hauptsächlich gedacht an die Glaubens- und Volksgenossen im Auslande.
Mit freundlicher Begrüssung!
gez.: Wienken
Direktor.