Dokument Nr. 45
Segreteria di Stato, Sezione per i Rapporti con gli Stati, Archivio Storico (S.RR.SS.),
Congregazione degli Affari Ecclesiastici Straordinari (AA.EE.SS.),
Pro Russia (1925-1945),
Pos. Scat. 22,
Fasc. 143,
Fol. 7r-8rv
Aufzeichnung
Es sprachen heute die beiden deutschstämmigen Sowjetstaatsangehörigen Frau Magdalena T o r s c h e r und Frau Anna Maria J u n d , Bäuerinnen aus dem Dorfe Selz, Kreis Odessa, hier vor und gaben von Nachstehendem Kenntnis.
Der römisch-katholische, etwa 37 Jahre alte Priester Johannes F u r c h in Selz ist am 23. Oktober 1928 auf die GPU nach Odessa vorgeladen, tags darauf daselbst verhaftet und am 19. Januar 1929 ins Gefängnis überführt worden. Kurz nach der Verhaftung haben Beamte das Haus des Priesters nach Papieren usw. durchsucht, jedoch ohne etwas Verdächtiges zu finden. Die GPU hat dann Einwohner der Gemeinde Selz verhört, um Beweise gegen den Priester zu sammeln. Das Verhör blieb jedoch ohne greifbares Ergebnis, bis der Lehrer von Selz aussagte, der Priester Furch habe ihm, dem Lehrer, geraten, seinen Beruf aufzugeben, da ihn dieser wegen der von der Regierung befohlenen Lehren in Widerstreit mit der Religion bringe. Obwohl der Priester die Unwahrheit der ihm unterstellten Aussage beteuerte, wurde doch dem Lehrer Glauben geschenkt. Einer der GPU-Beamten soll den hierüber entsetzten Gemeindemitgliedern gesagt haben: „er, der Lehrer, ist ein treuer Arbeiter, deshalb müssen wir ihm glauben.“ Dies hat sich Anfang November 1928 zugetragen. Von dieser Zeit an ist der Priester angeblich nicht mehr verhört worden. Über das Ergehen des Priesters haben sich die Bäuerinnen in den Sprechstunden, die er ihnen im Gefängnis geben durfte, auf dem Laufenden halten können. Die erste dieser Sprechstunden ist am 20. März 1929 gestattet worden, die weiteren in Zwischenräumen von 2–3 Wochen, die letzte hat am 10. August stattgefunden; am selben Tage ist dem Priester eröffnet worden, er würde auf 5 Jahre nach Solowki (Insel im Nördlichen Eismeer) „ausgesiedelt“.
Am 12. August ist der Priester Furch von Odessa nach Charkow und am 20. August angeblich nach Moskau überführt worden.
Die Bäuerinnen haben die für sie kostspielige und nicht ungefährliche Reise nach Moskau unternommen, um den Geistlichen, dem unterwegs in Charkow alle mitgenommenen Wäsche- und Kleidungsstücke gestohlen worden waren, dürftig mit dem Nötigsten zu versehen, ferner, um bei den Sowjetbehörden Bittschriften von Gemeindemitgliedern zu übergeben. Außerdem sollten die Frauen auf Anraten eines in Selz noch im Amte befindlichen Geistlichen die Deutsche Botschaft von dem Vorgefallenen unterrichten und – soweit möglich – um Hilfe bitten.
Hinsichtlich des letzten Punktes ist den beiden Bäuerinnen eröffnet worden, daß die Deutsche Botschaft volles Mitgefühl mit dem schweren Los des zur Verschickung verurteilten Priesters habe und auch den Schmerz der Gemeinde über den Verlust ihres allseitig verehrten Geistlichen nachfühle. Es sei aber für die Deutsche Botschaft sehr schwierig, sich für einen Sowjetstaatsangehörigen zu verwenden, da nach mancherlei Erfahrungen befürchtet werden müsse, daß durch die Einmischung eines fremden Staates der Gefangene nur neuen Verdächtigungen ausgesetzt sei. Unter diesen Umständen würde im Interesse des Priesters von Schritten der Botschaft bei den hiesigen Behörden besser abgesehen; dagegen würden der Deutsche Konsul in Odessa und in Deutschland das Auswärtige Amt und durch dieses die kirchlichen Stellen unterrichtet werden.
Moskau, den 23. August 1929.